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Die Küstenlandschaft zur Kreidezeit – Ein Kunstwerk zur Vermittlung der Erdgeschichte

Kaum zu glauben, aber vor knapp 100 Millionen Jahren wäre es möglich gewesen, mitten in Bochum und an vielen anderen Stellen im Ruhrgebiet an einer Meeresküste entlang zu laufen. So erscheint ein 2,80 m breites und 1,80 m hohes Gemälde von Willy Kukuk (1875-1944) wie ein Fenster mit Blick in die Erdgeschichte des Ruhrgebiets, als die Evolution noch lange nicht das Erscheinen des Menschen erreicht hatte.

Das Bild (montan.dok 030000520001) beschreibt die Landschaft einer malerischen Bucht, wie sie vor 100 Millionen Jahren, also etwa 200 Millionen nach der Entstehung der Kohlenflöze und der Auffaltung des Steinkohlengebirges, an vielen Stellen im Ruhrgebiet ausgesehen haben könnte. Noch in der frühen Kreidezeit (105-145 Millionen Jahre) war das Gebiet ein flaches, durch Abtragung gezeichnetes Festlandsgebiet, dessen Oberfläche zum großen Teil von den Gesteinen der jüngeren Karbonzeit bestimmt wurde. Das änderte sich, als vor rund 105 Millionen Jahren von Norden her eine großräumige Überflutung einsetzte. Weite Teile des Ruhrgebiets wurden Teil einer Ur-Nordsee. Diese Entwicklung spiegelt das Gemälde als Momentaufnahme im Prinzip wider.

 

Auf der linken Seite des Gemäldes ist das von Norden eindringende Meer zu erkennen, das die steil stehenden Gesteinsschichten des Steinkohlengebirges überflutet. Zwei dunklere Streifen zwischen den stark geklüfteten Gesteinen im Vordergrund zeichnen Steinkohleflöze nach. Im Hintergrund der abgewaschenen Strandebene befinden sich härtere Felsklippen. Die Pflanzenwelt der Oberkreide im Bild rechts weist bereits blühende Gewächse auf. Es fehlen allerdings tierische Vertreter der damaligen Lebewelt, was möglicherweise mit dem Künstler selbst zusammenhängt. 

 

Willy Kukuk hatte an der Kunstakademie Düsseldorf und an der Karlsruher Kunstakademie studiert. Als Vertreter des Spätimpressionismus schuf er vor allem Landschaften in hellen, freundlichen Farben. Belegte, aber sämtlich später datierte Ausnahmen befinden sich in den Musealen Sammlungen des Montanhistorischen Dokumentationszentrums (montan.dok) mit dem „Lebensbild vom Mammut“ (montan.dok 030007948001), dem „Lebensbild vom Wollnashorn“ (montan.dok 030007949001) und dem „Lebensbild vom Riesenhirsch“ (montan.dok 030007947001).

 

1919 wurde das Geologische Museum des Ruhrbergbaus im Gebäude der Bergschule an der Herner Straße in Bochum auch für die Öffentlichkeit zugänglich. Leiter des Museums und der Geologischen Abteilung der Westfälischen Berggewerkschaftskasse zu Bochum war der Geologe Prof. Dr. Paul Kukuk (1877-1967), der Bruder von Willy Kukuk. Paul Kukuk war stets daran gelegen, sowohl Bergschülern als auch der Öffentlichkeit geowissenschaftliche Zusammenhänge anschaulich im Bild und im Modell zu vermitteln. So ließ er seinen Bruder zwischen 1921 und 1923 drei monumentale Gemälde schaffen, die im Geologischen Museum in zwei Räumen verbunden über einer Sichtachse präsentiert wurden. Als so genanntes Triptychon bestanden sie aus der „Küstenlandschaft in der Kreidezeit“ (montan.dok 030000520001), dem mehr als sechs Meter breiten und über drei Meter hohen „Landschaftsbild der Steinkohlenzeit“ (montan.dok 030000521001) sowie dem „Korallenriff des Devonmeeres“ (montan.dok 030000519001). Nur das seinerzeit mittig gehängte „Landschaftsbild der Steinkohlenzeit“ ist heute im Rundgang „Steinkohle. Motor der Industrialisierung“ im Deutschen Bergbau-Museum Bochum (DBM), Leibniz-Forschungsmuseum für Georessourcen, ausgestellt.

 

Zurück zum urgeschichtlichen Strandverlauf: Die Südküste des Meeres, also auch der im Bild dargestellte Strandabschnitt, verlief in der Cenoman-Zeit vor knapp 100 Millionen Jahren entlang einer Linie Duisburg-Mühlheim-Essen-Bochum-Dortmund quer durch das Ruhrgebiet. In der Geologischen Karte von Nordrhein-Westfalen 1 : 25.000 (Blatt 4509 Bochum) windet sich eine grüne Linie von Ost nach West mitten durch die Bochumer Innenstadt und das weitere Stadtgebiet. Diese Linie begrenzt das Vorkommen der Ablagerungen des flachen Meeres nach Süden. Das Bild von Kukuk könnte also einen Strandabschnitt auf dieser Linie markieren. 

 

Sichtbar sind die Ablagerungen des flachen Kreidemeeres heute sehr gut im Geologischen Garten an der Querenburger Straße in Bochum. Hier lagern die im unverwitterten Zustand charakteristisch grünen Sande (Essener Grünsand) des Cenomans über den gefalteten und steil stehenden Schichten des flözführenden Oberkarbons. Versteinerungen von Meerestieren, die hier gefunden wurden und in den Musealen Sammlungen des montan.dok bewahrt werden, belegen dies. Verfolgt man die grüne Linie auf der Karte durch das Bochumer Stadtgebiet, so lassen sich – wie jüngst an der Bessemerstraße im Aushub für einen neuen Abwasserkanal geschehen – auch die Reste von Meerestieren finden. 

 

So romantisierend das Bild von Willy Kukuk auch erscheinen mag, für den Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet hatte die quer verlaufende Küstenlinie des einstigen Kreidemeeres eine tiefgreifende Bedeutung. Das Auftreten der als „Mergelüberdeckung“ bezeichneten Ablagerungen des Kreidemeeres, die nach Norden zunehmen (bergmännisch ausgedrückt: immer mächtiger werden), war noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein die natürliche Begrenzung für den Steinkohlenbergbau. Erst mit der Entwicklung neuer Methoden zum Schachtabteufen wie etwa dem Gefrierschachtverfahren und der zunehmenden Risikobereitschaft der Bergbauunternehmen gelang es, immer weiter nach Norden unter die Kreideüberdeckung vorzudringen. 

 

Das montan.dok hat sich mit dieser faszinierenden „Big History“ mehrfach auseinandergesetzt. So beispielsweise in Sonderausstellungen wie „Das Wissensrevier“, die sich 2014 der 150-jährigen Geschichte der WBK zuwandte, oder der umfassenden Gemeinschaftsausstellung mit dem Ruhr Museum in Essen aus Anlass des Auslaufens des aktiven deutschen Steinkohlenbergbaus 2018 unter dem Titel „Das Zeitalter der Kohle. Eine europäische Geschichte“. 

 

01. Oktober 2025 (Dr. Michael Ganzelewski)

 


Literatur

Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) des Deutschen Bergbau-Museums Bochum 030000519001, 030000520001, 030000521001, 030007948001, 030007949001, 030007947001, 060003296001. 

 

Abels, Andreas/Hiß, Martin/Mutterlose, Jörg/Kasielke, Till: Kreide-Zeit im GeoPark Ruhrgebiet, GeoPark Themen, Nr. 5, 2. Aufl., Essen 2023.

 

Artikel „Willy Kukuk“, in: Wikipedia. Unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Willy_Kukuk (Eingesehen: 11.08.2025).

 

Christian, David: Big History. Die Geschichte der Welt – vom Urknall bis zur Zukunft der Menschheit, 2. Aufl., München 2021.

 

Farrenkopf, Michael/Ganzelewski, Michael: Das Wissensrevier. 150 Jahre Westfälische Berggewerkschaftskasse/DMT-Gesellschaft für Lehre und Bildung. Katalog zur Sonderausstellung. Deutsches Bergbau-Museum Bochum vom 29. Juni 2014 bis 22. Februar 2015, Bochum 2014 (= Kretschmann, Jürgen/Farrenkopf, Michael [Hrsg.]: Das Wissensrevier. 150 Jahre Westfälische Berggewerkschaftskasse/DMT-Gesellschaft für Lehre und Bildung, Bd. 2).

 

Huske, Joachim: Der Steinkohlenbergbau im Ruhrrevier von seinen Anfängen bis zum Jahr 2000, 3. Aufl., Essen 2007.

 

Mutterlose, Jörg: Geologischer Garten Bochum. Exkursionsführer durch ein Naturdenkmal, Bochum 2003.

 

Stehn, Otto: Geologische Karte von Nordrhein-Westfalen 1 : 25.000, 2. Aufl., Krefeld 1988.

 

Wolansky, Dora: Das Geologische Museum des Ruhrbergbaues zu Bochum, in: Der Aufschluss, 1962, Sonderheft 11, S. 88-96.

 

Online-Portale: montan.dok und museum-digital. Unter: montan.dok 030000520001 https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=54660 und https://nat.museum-digital.de/object/1066925; montan.dok 030007948001 https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=255355 und https://nat.museum-digital.de/object/1170330; montan.dok 030007949001 https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=255356 und https://nat.museum-digital.de/object/1170331; montan.dok 030007947001 https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=255354 und https://nat.museum-digital.de/object/1170329; montan.dok 030000521001 https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=54661; montan.dok 030000519001 https://www.montandok.de/objekt_start.fau?prj=montandok&dm=Montanhistorisches%20Dokumentationszentrum&ref=54659 (Eingesehen: 24.09.2025).